Diplom-Psychologin, Heilpraktikerin für Psychotherapie, Dozentin, Yogalehrerin
Loslassen – ja, wie denn?
Loslassen – ja, wie denn?

Loslassen – ja, wie denn?

„Du musst loslassen“, bekommen Menschen, die noch mit der Vergangenheit beschäftigt sind, immer wieder zu hören. „Lass einfach los!“.

Ja, wenn es denn so einfach wäre – dann würde man es ja glatt machen… Vielleicht.
Doch tatsächlich – ist es das eben oft nicht: einfach.

Im Gegenteil erleben Betroffene immer wieder, dass das Umfeld die Bemühungen, mit der Vergangenheit fertig zu werden, nur eine kleine Zeit lang verstehen und begleiten kann. Das Trauerjahr hat seine generelle Bekanntheit verloren. Im Gegenteil wird das Leben mit all seinen – technisch initiierten – Entwicklungen immer schneller. Manchem Beobachter wird es schon nach wenigen Wochen unheimlich, wenn weiterhin der alte Pulli mit dem Geruch des verlorenen Anderen im Bett liegt, die Jacke weiterhin an der Garderobe hängt, wenn bestimmte Fragen wieder und wieder gestellt werden und ewig die gleichen Geschichten erzählt werden.

Dabei zeigt dies nur eins: Es ist noch nicht vorbei. Die Vergangenheit ist noch nicht abgeschlossen. Zu vieles ist noch präsent. Lehren sind noch nicht (ausreichend) gelernt, und Schätze noch nicht (sicher) geborgen.

Und so kommt es, dass Menschen, die durch für sie schwierige Veränderungsphasen gehen, es als hilfreich erleben (können), sich gezielt der Erinnerung auszusetzen. Sei es, um einer Sehnsucht nachzugeben; den Widerstand kurzzeitig aufzugeben; den Kampf um die Zukunft ruhen zu lassen; einen Moment der Wahrheit Raum zu geben, die da sagt: „Das ist in mir, und es tut weh“, oder: „Das ist in mir, und ich möchte bitte gerade nicht so tun, als sei es anders“, oder: „Das ist in mir, und es gibt mir Kraft“, oder: „Das habe ich immer noch nicht verstanden!“. Wieder und wieder. Solange, bis Ruhe einkehrt. Vielleicht Frieden. Bis der Impuls, sich (ständig) der Vergangenheit zuzuwenden, nachlässt. Aufhört. Ausbleibt. Bis eben wahres Loslassen geschieht.

Denn: „Vergangenheit ist, wenn nichts mehr weh tut!“ (Mark Twain).

Es geht darum, offene Fragen zu beantworten. Es geht darum, die Essenz des Erlebten in sich aufzunehmendas Gute zu integrieren, das Schlechte zu durchleuchten, um es in Zukunft schneller erkennen und abwehren zu können.

Das macht Erinnerungsarbeit.
In Ritualen bekommt sie einen Rahmen, zeitlich, methodisch, zuverlässig. In Ritualen wie dem Anzünden einer Kerze und Andacht; im Tagebuch-Schreiben; im inneren Dialog; in Briefen, die sich voller Gedanken, Fragen und Überlegungen an einen Adressaten wenden, ohne abgeschickt zu werden; in begangenen Feier- und Gedenktagen.
Aber natürlich auch im Gespräch mit Familie, Freunden oder Nachbarn, mit anderen Betroffenen in Selbsthilfegruppen oder mit professionellen Zuhörern wie einem Pfarrer, einer Therapeutin oder  anderen Helferinnen und Helfern.

Das macht eigene und/oder unterstützte Arbeit ganz konkret mit der Wahrnehmung und Anerkennung von Bedürfnissen und Emotionen.
Zum Beispiel im Personenzentrierten Gespräch nach Carl Rogers oder mit der Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall Rosenberg: Bei beiden steht das Einfühlen in die Bedürfnisse der Erzählenden ganz weit im Vordergrund, das in deren Aufatmen des Verstehens oder Verstanden-worden-seins  seine Bestätigung zu findet.

Das machen systemische Techniken, mit denen teilweise nach Mustern gesucht wird und vielfach – auch wieder durch intellektuelles oder emotionales Verstehen – Perspektivwechsel angeregt werden.

Und das macht auch die Verhaltenstherapie, wenn sie Wege und Methoden aufzeigt, um Erinnerungen, Bedürfnisse und Emotionen aufzuspüren, ihnen nachzuspüren, sie systematisch beobachten- und kennenzulernen.

Wenn loslassen einfach ist – dann geschieht es. Und genau deswegen ist es für Menschen, die abschließen können, weil sie keine offenen Anteile mehr in einem Verlust bearbeiten müssen, so schwierig zu verstehen, wenn andere es nicht können.

Wenn loslassen nicht einfach geschieht – dann gibt es noch Arbeit am Vergangenen, Verlorenen zu tun. Im Bedarfsfall mit Unterstützung. Und das ist in Ordnung so. Denn:

Vergangenheit ist erst, wenn nichts mehr weh tut.

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