Diplom-Psychologin, Heilpraktikerin für Psychotherapie, Dozentin, Yogalehrerin
Herrchen verwaist!
Herrchen verwaist!

Herrchen verwaist!

Ich bin 41 Jahre alt und lebe allein. Um mich herum habe ich meinen kleinen Freundeskreis, bin im Fußballverein vor Ort aktiv und ich habe einen guten Kontakt zu meiner Familie. Soweit alles gut.

Vor einigen Monaten musste ich aber meinen Hund Henry einschläfern lassen, ein Golden Retriever. 12 Jahre lang hat er mich durch dick und dünn begleitet, er war einfach immer da, und er hat gemerkt, wenn es mir nicht gut ging.

Ihn einschläfern zu lassen, war das Schwerste, was ich jemals tun musste. Er hatte eine Herzmuskelschwäche und ist fast daran erstickt, weil er nicht mehr richtig atmen konnte.

Es ist mir fast peinlich, das zuzugeben, aber ich bin immer noch sehr traurig, ganz besonders, wenn ich nach Hause komme und mein Kumpel nicht an der Tür auf mich wartet. Meine Freunde und Familie sagen, es sei ja „nur“ ein Hund gewesen, so ist das nun mal, Tiere sterben, es muss weitergehen und all diesen Mist. Nur helfen tut mir das nicht, ganz im Gegenteil. Er war mein bester Freund!

Nun frage ich mich, ob das normal ist, so lange um ein Tier zu trauern. Ich weiß doch, dass Henry ein wirklich gutes Leben hatte, und er war auch schon alt. Da müsste ich doch damit umgehen können und mich freuen, dass wir so lange Zeit miteinander hatten, oder?

Aber seit Henry tot ist, fühle ich mich wahnsinnig einsam und leer. Ich merke, dass ich mir noch so oft sagen kann, dass der Tod zum Leben gehört und diesen Kram, aber deshalb fühle ich mich kein bisschen besser.

Wie kann ich aus diesem Loch herauskommen und wieder das Gute in meinem Leben mehr wahrnehmen?
Carsten

Hallo Carsten,

der Tod gehört zum Leben dazu, das ist richtig.
Und das Abschiednehmen und Trauern gehört ebenfalls zum Leben dazu!

Was ist schon normal?
Ein Mittelwert.

Bei Manchen geht das sehr schnell und bei Anderen dauert es sogar länger als die eigentliche Zeit, die man miteinander hatte. Aber was ist schon normal? Eine Mittelwert, der über viele Einzelfälle hinweg errechnet wurde – dieses „normal“-Maß findet sich selten in Form einer echten Person.

Offenbar ist es noch keinem Ihrer Freunde oder Bekannten in einer Verlustsituation so (lange so) ergangen, wie es Ihnen geht. Vielleicht hat noch keiner Ihrer Freunde und Bekannten ein geliebtes Wesen verloren, das derart eindeutig loyal zugewandt war, wie Henry Ihnen. Vielleicht hat noch keiner Ihrer Freunde und Bekannten jemanden verloren, mit dem er oder sie eine solch lange oder intensive, innige Zeit verbracht hat. Oder vielleicht haben Ihre Freunde und Bekannten nur einfach andere Verarbeitungsmuster, denn eins ist ganz sicher: Keiner von Ihren Freunden und Bekannten IST (wie) Sie.

Henry war Ihr bester Freund. Ein Freund, der zuverlässig Freude signalisierte, wenn Sie nach Hause kamen. Ein Freund, mit dem Sie viel erlebt haben, und dabei war er immer ehrlich und vermutlich für Sie gut berechenbar. Über 12 Jahre. Das ist ein langer Zeitraum, in dem sich diese hochpositive, emotionale und wiederkehrende Erfahrung stabil und zuverlässig in Ihr Hirn eingeprägt hat, eine Zeit, in der starke Erinnerungsstrukturen in Ihrem Gehirn gewachsen sind.

Und jetzt ist er weg.

Ihre Wohnung, in der er zuvor auf Sie gewartet hat, ist leer. Sie kommen allein nach Hause, und Henry ist nicht da, um sie zu begrüßen. Henry ist nicht da, um ihm durchs Fell zu strubbeln, Sachen wie „komm her, mein Freund“ zu ihm zu sagen, die Nase in seine Locken zu stecken oder hinters Ohr oder die Stirn an seine Stirn zu legen; da ist kein fröhliches Herumtollen, Bälle oder Stöcke werfen, keine gemeinsamen Spaziergänge oder zuvor der herausfordernde Blick, der sagt: „Herrchen, ich muss raus! Los! Jetzt!“.

Sich zu verabschieden, ist ein Prozess. Je vertrauter die Verbindung war, umso intensiver kann die Erinnerung zurückkehren, wenn etwas so ähnlich ist, wie es einmal war. Und daher kann dieser Prozess dann vielleicht auch umso länger dauern.

Wir können unter der Erinnerung zusammenbrechen, wenn wir uns standhaft gegen sie behaupten wollen – oder wir können sie begrüßen, mit ihr gehen, vielleicht auch in das Loch hinein, den Schmerz fühlen, ihm Raum und vielleicht Gestalt geben und damit dem Verlorenen Wertschätzung entgegenbringen.

Ich erlaube mir, in der Betrachtung des Prozesses keinen Unterschied zu machen zwischen Mensch oder (tierischen) Freund. Daher gebe ich dies zu bedenken: Früher gab es für Menschen in unserer Kultur das „Trauerjahr“, eine ganze Runde all der besonderen Tage und Momente, die so ein Jahr bereit hält. Wir haben den Totensonntag, um in einem christlichen Rahmen der Gegangenen zu gedenken – ein Ritual, das auch die Sicherheit geben kann, nicht einfach nur zu vergessen.

Rituale helfen!

In Mexico wird der „Día de los Muertos“ gefeiert. Gefeiert! Ein Tag, an dem die Geister der Toten eingeladen werden, in die Mitte der Lebenden zurückzukehren – ein Ritual, das einen Rahmen gibt, in dem intensiv und positiv an die Gegangenen gedacht wird.

Und dann sind da Sie – und Sie können und wollen (!) nicht einfach nur akzeptieren, dass Ihr Kumpel nicht mehr da ist. In meinen Augen ist nichts daran „nicht normal“.

Geben Sie ihm, der Erinnerung, einen Platz in Ihrem Leben. Wie intensiv, das entscheiden Sie! Vielleicht nehmen Sie sich ein Bild und stellen es gut sichtbar auf. Wann immer Ihr Blick darauf fällt, können Sie sich einen kleinen Moment (oder auch eine längere Zeitspanne) nehmen, um an Henry zu denken. Vielleicht hängen Sie seine Leine neben die Tür, so dass Sie beim Heimkehren in einem kleinen Ritual in liebevoller Erinnerung „Hallo Henry“ sagen können. Vielleicht haben Sie ihm früher von Ihrem Tag erzählt – vielleicht tut es Ihnen gut, dies wieder zu tun: „Hey, alter Kumpel, ich weiß, du bist nicht mehr da, aber ich möchte Dir so gern erzählen…“. Vielleicht gehen Sie spazieren auf Ihren alten Wegen und erinnern sich daran, wie es war: „Na, Henry, weißt du noch? Hier hast du …“. Vielleicht möchten Sie einfach nur die Augen schließen, und sich vorstellen, wie Sie mit ihrem Freund herumtollen. Vielleicht gibt es auch ganz etwas anderes, das sich für Sie passend und gut anfühlt.

Und ja, sich zu erlauben, von ganzem Herzen traurig zu sein, kann sich gut anfühlen!

Es hilft, der Trauer
Raum zu geben

Vielleicht entdecken Sie in sich sogar Wut darüber, dass er sterben mußte, oder ein Gefühl von Schuld, weil er litt, und Sie es nicht verhindern konnten. Oder weil Sie ihn töten ließen – auch wenn es Henry von seiner Qual erlöst hat. Beim Trauern geht es oft um mehr, als nur um die pure Tatsache, dass jemand oder etwas im Leben fehlt.

Es hilft, der Trauer Raum zu geben. Und zu wissen, dass es dafür eine reservierte Zeit gibt (einen Atemzug lang, eine halbe Stunde, eine ganze Woche extra dafür genommenen Urlaub…) kann helfen, außerhalb dieser Zeit am normalen Leben (wieder) leicht(er) teilzunehmen.

Ein Hund ist ein Freund, wie es die wenigsten Menschen sein können. Er darf betrauert werden. Genau so und genau so lange, wie es für Sie richtig ist.

Ich wünsche Ihnen von Herzen alles Gute!
Katharina Hirsch

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