Im Alter von neun Jahren musste mir ein überzähliger Zahn herausoperiert werden.
Als die zahnmedizinische Fachangestellte die aufgezogene Spritze über mich hinweg an den Arzt reichen wollte, flog mein Arm nach oben – und die Spritze in hohem Bogen durch den Raum.
Ein purer Reflex!
Spritzen mach(t)en mir einfach großen Stress.
Der Kieferchirurg schimpfte mit mir. Mein Vater schimpfte mit dem Kieferchirurgen und dessen Mitarbeiterin. Danach ging alles seinen Gang.
Die Angst vor Spritzen blieb.
Trotz vieler Anläufe mit versuchter Tapferkeit war es zumeist klüger, mich hinzulegen. Es bestand immer die Gefahr, dass ich umkippte. Sämtliche Versuche, mir bewußt zu machen, dass der Einstich in keinem Verhältnis zu meiner Angst steht, scheiterten kläglich. Ich arbeitete mit Ablenkung oder versuchte, mich nach und nach runter zu regeln. Es ging. Doch immer mit einigem Aufwand. Nur – weg… ging die Angst nicht!
Ich weiß, dass ich damit nicht alleine bin. Etwa 3 Prozent der Menschen in Deutschland haben mit mehr oder weniger starker Angst vor Nadeln zu tun. Wie auch ich, können viele mit allerlei Tricks lernen, ihre Angst zu kontrollieren. Doch Angst-Kontrolle ist nicht das Gleiche, wie angstfrei zu sein. Kontrolle bleibt eine lebenslange Notwendigkeit. Angstfreiheit – ließe mich einfach entspannt bleiben. Ich wollte (und will im Allgemeinen) die Freiheit!
Spritzenphobie ist keine reine Kopfsache. Natürlich macht der Kopf den Alarm, doch die Angst steckt auch in den Knochen, als Fluchtimpuls oder Erstarrung, wenn Flucht nicht möglich ist. In diesem Fall kann der Körper zum Beispiel verkrampfen, ich fühl(t)e die Anspannung teilweise bis in die Gefäße hinein. Sie kann Übelkeit hervorrufen, bis hin zum Erbrechen. Wird das alles zu viel, geht der Körper noch einen Schritt weiter und kann bis hinein in eine Ohnmacht flüchten.
In der Regel wissen die Betroffenen, dass ihre Angst der Sache nicht angemessen ist. Helfen tut dieses Wissen oft nicht.
Dabei wissen viele, dass eine angstauslösende Situation aus erwachsener Sicht „nur halb so schlimm“ ist. Doch der logische Verstand hat hier nicht viel zu melden. Die gemachte Erfahrung ist eine andere – und sei es nur die Erfahrung eines kleinen Kindes, das davon überfordert war und sie nicht einsortieren bzw. verstehen konnte. In diesem Moment wird der Körper mit Stresshormonen – und wichtiger, entsprechenden wilden, chaotischen Empfindungen – überflutet. Zuviel für ein kleines Kind. Noch dazu, wenn die umgebenden Erwachsenen es möglicherweise unbeabsichtigt nicht schaffen, das Kind mit diesem inneren Aufruhr wieder zu beruhigen.
Manchmal entspringt die spätere Angst sogar einfach nur der Beobachtung eines spritzenphobischen Erwachsenen. In diesen Fällen wurde sie am Modell gelernt.
Dies ist eigentlich ein genialer Mechanismus – nur manchmal eben nicht.
Zum Glück lässt sich diese Phobie in den meisten Fällen ganz gut behandeln.
Viele schwören auf Verhaltenstherapeutische Techniken.
Ich natürlich nicht. Dafür hätten mir die oben genannten Techniken ja deutliche Erleichterung bringen müssen. Was sie, wie gesagt, nicht taten.
Andere lassen sich durch Hypnose mit Entspannung und Suggestionen helfen. Auch diese hat gute Erfolgsquoten, habe ich gehört.
Ich selbst habe auf Brainspotting gesetzt. Nachdem ich die Technik kennengelernt habe und sie mich sofort theoretisch und praktisch überzeugt hat, ist sie eines meiner Lieblingswerkzeuge geworden. Brainspotting kommt ohne Fremddeutung aus. Es arbeitet – ausgehend von einer Situation, einer Vorstellung, einer Erinnerung – mit dem, was in der Person selbst ist.
Für mich hat es funktioniert.
Brainspotting regt Verarbeitungsprozesse im Gehirn an. Diese folgen einer individuellen inneren Logik. Die therapeutische Arbeit beruht hauptsächlich auf einer Begleitung dieses Prozesses. Damit einher gehen oft körperliche Empfindungen und Reaktionen, die durch die Blickrichtung der Augen beeinflusst werden. Sollten diese Empfindungen zu intensiv werden, kann der Prozess verlangsamt oder reduziert werden. Auch dies ist Teil meiner Arbeit.
Irgendwann beruhigt sich der Ablauf.
Am erfolgreichen Ende eines solchen Prozesses steht oft ein erstauntes: „Oh, jetzt ist es vorbei.“
Und genau so war es bei mir.
Ich war mit der Vorstellung der Impfung (wegen Corona) in meine „Session“ gegangen. Schließlich wußte ich, dass ich demnächst 2x diesem Stress ausgesetzt sein würde.
Mein Körper reagierte deutlich und über ca. eine Stunde wand ich mich, hörte mich wimmern, drehte und zuckte mein Körper sich hierhin und dorthin, als wolle er etwas ausweichen. Ich schnaufte und prustete. Es war erstaunlich und intensiv – schlimm fand ich es allerdings nicht.
Und dann kam ein Moment, in dem ich gerade noch dachte: „Holla, wann hört das denn auf?“ – und im nächsten Moment passierte es. Die Körperreaktionen ließen nach.
Dann atmete ich einmal tief durch und plötzlich war ich mir sicher: Wegzuschauen würde ausreichen, um gut durch die Impfung zu kommen. Für diesen Augenblick war das genug.
Die Theorie konnte ich völlig überraschend schon am nächsten Tag überprüfen. Ich bekam einen Anruf aus der Praxis meines Arztes: wenn ich Zeit hätte, könnte ich JETZT kommen. Ich ging hin.
Der Tupfer? Null problemo! Allein bei dessen Vorstellung hatte ich am Vortag fast hyperventiliert.
Die Nadel? Ich überlegte noch, ob das da gerade ein Pieks gewesen war, oder ob er noch käme – da war es schon vorbei.
Und ja, ich hatte weggesehen. Hatte ein wenig geplappert.
Aber: Keine Anspannung. Keine Kreislaufprobleme. Und schon gar kein Umkippen.
Mein Fazit: Ich liebe Brainspotting. Es ist einfach genial. Und wirkt nicht nur bei Spritzenphobie. Wenn Sie es auch ausprobieren oder als therapeutische Intervention nutzen wollen, rufen Sie mich gern an!