Mittlerweile spricht es sich immer weiter herum: Viele Menschen sind durch traumatische Erlebnisse in ihrer Lebenqualität beeinträchtigt. Hier möchte ich von einer Klientin, ich werde sie Tanja nennen, mit einem Schocktrauma durch Komplikationen unter der Geburt ihres Sohnes berichten und wie sie durch Brainspotting emotionale Erleichterung und Veränderung erlebte.
Doch vorab:
Was ist ein Trauma?
Ein Trauma ist derart definiert, dass ein Erlebnis die Bewältigungs- und Verarbeitungsfähigkeiten einer betroffenen Person übersteigt. Es bewirkt, dass die Person überwältigt wird, sich hilflos und ohnmächtig, oft sogar des Lebens bedroht fühlt – unabhängig davon, wie dieses Ereignis objektiv bewertet werden mag! Eine andere Person hätte die gleiche Situation vielleicht nicht als traumatisch erlebt. Wie gesagt: Es liegt an der Kompetenz, den Fähigkeiten einer Person, mit dem, was passiert, zurecht zu kommen. Und es kann jeden treffen!
Zusätzlich wird nach der Art des Traumas unterschieden:
Ein Schocktrauma ist ein einmalig überwältigendes Erlebnis, wie ein schwerer Unfall, ein Überfall, eine Naturkatastrophe, ein plötzlicher Verlust und anderes.
Bei einem Entwicklungstrauma wird ein belastendes Ereignis immer wieder erlebt. Dabei kann es sich sowohl um schlimme, offensichtlich negative Ereignisse handeln, aber auch um scheinbare Kleinigkeiten, gegen die jemand sich jedoch als machtlos erlebt, daran etwas zu verändern. Aufgrund dieser Erlebnisse entwickelt die Person sich im weiteren Verlauf ihres Lebens anders, als sie es ohne diese Erfahrungen gemacht hätte.
Tanjas Geschichte: Es ist schief gegangen, was nur schiefgehen konnte
Bei der Geburt von Tanjas Sohn war „schief gegangen war, was nur schiefgehen konnte“.
Kennengelernt hatte ich Tanja während ihrer Schwangerschaft in meinem damals noch bestehenden Angebot „Yoga für Schwangere“. Sie war eine zufriedene, strahlende Schwangere gewesen, mit einem gesunden Gespür für ihre eigenen Bedürfnisse.
Drei Monate später nahm sie an einem anderen Kurs von mir teil. Während sie lächelnd von den Entwicklungen ihres kleinen Sohnes berichtete, wirkte sie müde und ihre Haut war fahl und grau. Ich behielt ihren Zustand im Auge, schließlich hatte sie ein Neugeborenes zuhause. Doch er veränderte sich über Wochen hinweg nur unwesentlich und ich kam zu der Annahme, dass ihr die Geburtserlebnisse noch zu schaffen machten.
Ich rief sie an, um ihr von meinen Eindrücken zu berichten und ihr ggf. eine Verarbeitung des Geschenen mit Brainspotting anzubieten. Sie bestätigte die Vermutungen und nahm an. Brainspotting ermöglicht meines Wissens und meiner Erfahrung nach immer wieder bedeutsame Entwicklungs- bzw. Verarbeitungsschritte innerhalb einer Sitzung. Und gerade bei einfachen Schocktraumata kann diese Technik in wenigen Sitzungen enorme Veränderungen bewirken.
Tanja hatte mächtig Respekt vor der Auseinandersetzung mit den Erinnerungen. Denn was ich zum Zeitpunkt meines Vorschlags noch nicht wußte, war: Seit der Geburt erlebte sie beständig und scheinbar unvermittelt Flashbacks.
Bei einem Flashback flammen Erinnerungen plötzlich auf, und damit einher gehen starke Empfindungen und Emotionen, wie sie auch in der traumatischen Situation auftraten. Diesen Flashbacks fühlen sich Betroffenen hilflos ausgeliefert, was sie besonders bedrohlich wirken lässt.
Gleichzeitig wollte Tanja nicht, dass die Entwicklung ihres Kindes oder die Beziehung zu ihm durch die vergangenen Erlebnisse belastet wäre.
Die erste Sitzung: „Es ist ok.“
Da ich Tanja ja bereits kannte, wagte ich Brainspotting direkt in der ersten Sitzung.
Trotzdem näherten wir uns vorsichtig der Erinnerung mit einem sogenannten Ressourcenspot. Dafür arbeiteten wir mit der Emotion des Momentes, an dem das eigentliche Drama sein Ende gefunden hatte und sie erste Erleichterung in sich gespürt hatte.
Diese positive Empfindung nahm dann auch erst einmal zu, bis sich Tanjas innerer Fokus von allein veränderte und zu den belastenden Momenten, Ereignissen und Szenen schwenkte.
Tanja berichtete, wie sie aus einer Beobachterperspektive heraus die Situation vor sich sah: Im OP, viele Menschen um sie herum, die hauptsächlich auf den Geburtsvorgang konzentriert waren – doch nach einer Weile wurde sie sich mehr und mehr der unterstützenden Menschen um sie herum bewusst: ihres Partners, dem sie vorab genau gesagt hatte, was im Fall der Fälle seine Aufgabe sei und ihrer Hebamme, die ebenfalls an ihrer Seite stand und auf sie achtete.
Zu Beginn unserer Sitzung war ihr diese Unterstützung durchaus rational bewusst gewesen – emotional war sie jedoch tief erschüttert von der Ohnmacht, an die sie sich erinnerte. Sie hatte sich unendlich allein gefühlt und unfähig, ihrem Kind zu helfen.
Die Sitzung selbst war intensiv. Immer wieder liefen ihr die Tränen über die Wangen und sie hatte mit einigen emotionalen Wellen zu tun. Hätte ich sie und ihre emotionale Kompetenz nicht gekannt, wäre ich langsamer vorgegangen!
Schließlich erkannte sie, dass sie sehr wohl etwas für ihr Kind getan hatte – in der ganzen Zeit war sie mit ihrer Aufmerksamkeit bei ihm gewesen!
Am Ende der ersten Sitzung hatte Tanja eine Wahrnehmung von „es ist ok“. „Es ist, wie wenn jemand einem Kind über den Kopf streicht, um es zu beruhigen“, erzählte sie. Sie fühlte sich enorm entlastet, auch wenn es noch kein innerer Frieden war. Und ihre Gesichtshaut hatte endlich wieder einen rosigen Schimmer.
Die zweite Sitzung: Die Perspektive erweitert
Zwei Wochen später trafen wir uns erneut.
Die Haltung vom Ende der ersten Sitzung hatte Bestand. Nun tat es Tanja nicht mehr weh, ihren kleinen Jungen anzusehen. Ihre Haut wirkte frischer und ihr Ausdruck wieder wacher und belebter.
Doch sie war wütend!
Von Seiten des medizinischen Personals hatte sie sich menschlich nicht gut behandelt gefühlt.
Diesmal arbeiteten wir direkt mit der Wut auf einem Aktivierungsspot. Wieder war es intensiv, doch nach und nach erweiterte sich ihre Betrachtung des Geschehens (ohne inhaltliche Einmischungen von mir).
Tanja selbst beschrieb es so:
„Am Anfang habe ich mich ganz allein gefühlt. Da hat sich beim letzten Mal das Bild aus meiner Perspektive auf 180° erweitert. Jetzt geht es noch weiter herum, ich kann auch einen Großteil der anderen Seite sehen und akzeptieren! Es war richtig, dass die Ärzte und Op-Kräfte sich auf die Sache konzentrierten! Das war notwendig!“
Auch nach dieser zweiten Sitzung war klar, dass sie die Situation noch nicht vollständig verarbeitet hatte. Sie fühlte noch keinen vollständigen Frieden in sich. Aber sie hatte eine weitere, starke Entlastung erlebt. Wenige Wochen später ließ sie mich aus dem Urlaub heraus wissen, dass sie auch jetzt noch Momente intensiver Erinnerungen habe – doch damit können sie nun gut umgehen. Vielleicht setzen wir noch eine dritte Sitzung an. Aber vielleicht ist das auch gar nicht mehr nötig.