Meine Absicht war es, an dieser Stelle einen Text zu schreiben mit der Überschrift „Gefühle sind nicht gefährlich!“.
Doch das kann ich so nicht. Denn leider ist es nicht wahr. Im Angesicht viel zu vieler Menschen, die entweder andere unterwerfen oder sich selbst einfach nur erhöhen wollen, ist es gefährlich, Gefühle zu zeigen! Viel zu viele Menschen toben sich an jenen aus, die nicht die körperliche und emotionale Stärke haben, sich erfolgreich gegen sie zu wehren.
Ich kann das so nicht schreiben, weil ich gerade mit einer jungen Frau arbeite, die jeglichen Kontakt zur Gegenwart verliert (dissoziiert), sobald es darum geht, sich selbst zu spüren. Dabei wird sie diese Hürde überwinden müssen, um heil zu werden und ein gutes Leben führen zu können*. Einst war die psychische Fähigkeit, sich von den Gefühlen abzuspalten, ihr einziger Schutz, um psychisch – und vielleicht sogar überhaupt – zu überleben. Heute erleidet sie Panikattacken und jeder Tag bedeutet für sie eine einzige Herausforderung.
Und doch haben Sie den Unterschied vielleicht schon bemerkt:
Gefühle an sich… sind nicht gefährlich!
Gefühle zu zeigen kann gefährlich sein.
Manche Menschen sind gefährlich, weil sie ihre Gefühle rücksichts- und gnadenlos ausagieren oder Gewalt anwenden, um ihre tatsächlichen – und vermeintlich schwachen – Gefühle zu verbergen. Meistens ganz besonders vor sich selbst.
Und doch liegt genau hier – im Verbergen von Gefühlen, auch und vor allem vor sich selbst – der Kern für Empfindungen von innerer Leere. Von Verlorenheit. Von innerem Tot-sein. Von Schmerz und der Ahnung um Falsch-heit.
Und dagegen gibt es nur ein Heilmittel.
Fühlen.
Gefühle zulassen.
Das geht auch sozial-verträglich. Selbst wenn es erst gelernt werden muss.
Sogar mit Wut. Mit Scham. Bei Schuldgefühlen. Auch wenn letztere besonders schwer als Gefühl auszuhalten sind. Deswegen braucht es manchmal auch gezielt Unterstützung von außen. Durch Menschen, denen man vertraut.
Gefühle sind informativ. Sie versetzen uns in Bewegung.
Gefühle zu vermeiden verursacht statt dessen – immer Schmerz!
Dabei ist die Natur von Gefühlen, von Emotionen, grundsätzlich sehr vergänglich, sehr fließend!
Das lässt sich schon an dem Wort „Emotion“ ablesen, dessen Ursprung im lateinischen, „ex-movere“ liegt. Es bedeutet: „heraus-bewegen“.
Manche Gefühle lassen uns auf ein Ziel zugehen. Andere lassen uns von einer Gefahr wegstreben. Wieder andere lassen uns ein Hindernis angreifen. Wer dies nicht spürt, nicht wahrnimmt, nicht annimmt, bewegt sich vielleicht in die falsche Richtung – oder erstarrt.
Verschiedene Gefühle und Emotionen haben dabei unterschiedliche Informationen für uns:
So zeigt mir meine eigene Wut, das ich gerade einen mir wichtigen Wert, jemanden oder etwas bedroht sehe. Das will ich nicht zulassen!
Mein Gegenüber wird aus meiner gezeigten Wut hoffentlich schlussfolgern, mich nicht weiter zu reizen!
Wenn ich jedoch meine Wut nicht spüre, kann es sehr schwierig sein, zu wissen, was im Leben mir wirklich wichtig ist. In der Folge kann ich mich hilflos fühlen.
Wenn Wut nicht sein darf – wie soll ich etwas verteidigen, das mir wichtig ist?
Hilflosigkeit – vor allem ungefühlt, unbeachtet, unbeantwortet – kann wiederum in Depression münden.
Oder in Angst.
Angst ist die andere Möglichkeit, auf eine Bedrohung zu reagieren. Angst vor Verlust. Angst um Unversehrtheit. Angst vor Schmerz. Angst vor …
Angst initiiert die Bewegung in die entgegengesetzte Richtung als Wut es tut – Angst lässt uns flüchten.
Wer hingegen seine Angst nicht spürt, wird unvorsichtig. Er wird vielleicht zu viel riskieren – nämlich genau das, wovor die Angst warnt. Gesundheit. Sicherheit. Beziehungen. Erfolg. Das Leben….
Erst wer gelernt hat, mit seiner Angst zusammen zu arbeiten, wird sich auf eine Gefahr vorbereiten. Das Umfeld, wenn es freundlich ist, steht mir bei einem Angstthema zur Seite.
Liebe ist ein Gefühl der Annäherung und des Wohlwollens.
Freude eines des Gelingens und des Kontaktes.
Trauer zeigt einen Verlust an.
Ekel signalisiert, dass hier etwas vorliegt, dass meinem System (körperlich oder ideologisch) schaden könnte.
…
Gefühle sind nicht gefährlich.
Gefühle sind Leben.
Gefühle sind lebensnotwendig.
*Mit ihr arbeite ich in meinem hauptberuflichen Kontext. Dieser (finanzierte) Rahmen wird in wenigen Monaten wegfallen. Da sie betont, wie sehr ihr unsere Gespräche und meine Unterstützung gut tun, möchte ich ihr auch danach unsere Zusammenarbeit anbieten. Mit Ihrer/Deiner Spende können Sie/kannst Du diese Zusammenarbeit unterstützen.